Montag, 21. Januar 2013

Shades of Grey, Gefährliche Geliebte – E.L. James


Ein wenig verhält es sich mit diesem Weltbestseller genau so wie mit dem berühmten Kinderüberraschungsei. Weltweit fallen täglich Millionen Kinder auf den Spruch: „Willst du etwas Spannendes, was zum Spielen und Schokolade?“ herein, nur um sofort nach Verzehr der weiß-braunen Hülle enttäuscht und mit verdrecktem Mund vor einen Mini-Puzzle oder einem hässlichen Plastikauto zu hocken. Schneller als eine Buchseite umgeblättert ist, gerät das Dings in Vergessenheit oder fliegt in den Müll. Bücher schmeißt man normalerweise nicht so schnell weg aber zum Glück kann man sie weiterverschenken oder zurück in die Bibliothek bringen.



Ich gebe ja zu, dass einige der Sexszenen zwischen der blutjungen Anastasia und dem ach so erfolgreichen, herrlich duftenden, überaus klugen, wahnsinnig reichen, extrem erfahrenen, ein wenig gefährlichen, überaus zärtlichen, teilweise etwas gewalttätigen Christian (ich höre hier lieber auf, bevor der Leser auf die Tastatur kotzt), durchaus anregend sind. Doch wer aufgrund der Werbung oder heimlich zugeflüsterter Empfehlungen nun mit wirklich schmutzigen Perversionen rechnet oder neue Ideen für sein eigenes Liebesleben recherchieren will, wird ziemlich enttäuscht. Vielmehr lebt das Buch von Andeutungen über die Dinge, die in Band 1 der Trilogie nachzulesen sind, welcher dann mit der vorübergehenden Trennung des ungleichen Paares endete. Christian hatte dort wohl beim Dominieren seiner Sub ein wenig über die Stränge geschlagen.
Aber immerhin erfährt man im hier besprochenen zweiten Teil, dass es auf dieser Welt doch noch Männer gibt, die eine Frau glücklich machen können. Und das nicht ausschließlich mit Geld (schließlich verdient dieser Mann pro Arbeitsstunde sage und schreibe 100.000$, was dann ja wohl wirklich pervers ist) sondern auch mit einer dermaßen ausgeprägten Libido, dass es dem Otto Normalo schier die Sprache verschlägt. Von Erektionsproblemen hat unser CEO noch nie gehört, und auch der mittlerweile wahrscheinlich ebenso reichen Autorin scheint unbekannt zu sein, dass Männer eben nicht mehrfach hintereinander ihren Liebessaft in solch verschwenderischen Mengen absondern können, wie sie es ihren selbst erschaffenen Traummann hier fertigbringen lässt. Aber gut, man darf ja noch träumen, und nichts anderes als der Traum einer ausgehungerten Britin ist diese Geschichte.
Zwischen die ständigen Bett-, Fahrstuhl-, Fußboden- und Tischszenen versucht James, ganz die wahrhafte Schriftstellerin, noch ein wenig Handlung einfließen zu lassen. Sogar so etwas wie Spannung und Mysterium möchte sie uns hier verkaufen, etwa wenn von dem durch die heldenhaften Flugkünste des Übermenschen Christian vermiedenen Hubschrauberabsturz berichtet wird oder eine ehemalige Gespielin bewaffnet durch Seattle streift. Völlig daneben jedoch dann die Schlussszene, in der ein komplett neuer literarischer Stil bemüht wird, nur um die Spannung künstlich nach oben zu schrauben. Schließlich soll der dritte Band genauso viel Geld in die Kassen bringen, wie es die ersten beiden getan haben. Eine durchaus nachvollziehbare Strategie ist dieses Ansinnen zwar aber dennoch ein wahrlich schlechter Habitus.
Vielleicht kritisiert der Rezensent das Gelesene aber auch nur deshalb so stark, weil er sich einfach nicht in die Gedankenwelt der Millionen (Haus-) Frauen versetzen kann, für die diese Geschichte ob ihrer Unmöglichkeit einfach nur eine Flucht aus der öden Realität darstellt. In dieser verabreichen zahlreiche Männer ihre Schläge und Demütigungen ohne sexuellen Hintergrund und haben wohl weniger die feminine Lustbefriedigung im Auge als den reinen Abbau ihrer Aggressionen. Denn zumindest das Eine kann man Christian zu Gute halten, nämlich dass er es mit perfekter Erfolgsquote schafft, Ana zu immer stärkeren Orgasmen zu führen, so dass man es regelrecht mit der Angst zu tun bekommt, wie exzessiv und laut diese dann im (hoffentlich) letzten Teil ausfallen werden. Über die Frage, ob es wirklich möglich ist, dass beide Partner ausnahmslos zum gleichen Zeitpunkt zum Höhepunkt kommen, braucht man nun wirklich nicht weiter nachzudenken. Frau muss nur den richtigen Partner finden, womit wieder einmal bewiesen ist, dass ein Roman eben immer auch einen Anteil Fiktion beinhaltet. Oder aber dass man mit Geld eben doch alles kaufen kann.
Zustimmen kann der Rezensent einer der Grundaussagen dieses Buches, so diese überhaupt gewollt sind: Sex heilt. Und zwar von so ziemlich allen Krankheiten. Denn krank ist (oder war) dieser Mann ohne Frage. Doch was etliche Psychologen, Psychiater, Berater und Therapeuten über viele Jahre hinweg nicht vermochten, schafft diese Frau auf wundersame Weise in nur wenigen Wochen. Nun bleibt nur zu hoffen, dass sie ebenfalls in der Lage ist, ihm seine nervende Eifersucht und seinen wahrlich krankhaften Beschützer- und Überwachungswahn abzugewöhnen. Mit Sicherheit wird ihr auch dies bald gelingen.
Doch ob es den Turteltauben auch gelingen wird, ihre wahnsinnige Sexfrequenz und regelrecht abartig starke Liebe auch noch nach drei Monaten, Jahren, Kindern, Urlaubsfahrten etc. aufrecht zu erhalten, wird wohl jeder hinterfragen, der bereits in den Niederungen des Alltags angekommen ist. Beginnt nicht jede große Liebe mit der Gewissheit „Tief im Herzen weiß ich, dass unsere Liebe ewig währen wird.“ ? Traurig wäre es, wenn diese absolute Sicherheit nicht am Anfang einer jeden leidenschaftlichen Beziehung stünde. Doch ist die Zeit eben nicht nur fähig, alle Wunden zu heilen sondern auch alle Illusionen zu relativieren.
Zum literarischen Niveau von Shades of Grey muss sicher nicht viel geschrieben werden. Keiner hat erwartet, dass es sich hierbei um ausgewählte Qualitätsarbeit handelt oder mit neuen Stilmitteln experimentiert wird, doch manchmal nerven die ewigen Wiederholungen nur noch. Scheinbar per Zufallsgenerator sind Sätze an beliebigen Stellen eingefügt, die dann beispielsweise so klingen: „Wieso schafft es dieser Mann jedes Mal, mich so aus dem Konzept zu bringen?“oder „Ich halte es schon jetzt vor Aufregung kaum aus“. Und wenn dann noch ständig Anas „innere Göttin“ erwähnt wird, will man es einfach nur hinter sich bringen und schafft es, diese 600 Seiten binnen einer Woche zu überfliegen, nur um endlich wieder zu einem richtig guten Buch zu greifen.

Dienstag, 15. Januar 2013

Das große Leuchten – Andreas Stichmann


Um ein ähnlich spritziges Roadmovie wie den erst kürzlich an dieser Stelle besprochenen Roman Tschik sollte es sich bei diesem Büchlein handeln. Diese Hoffnung hat sich zwar nicht erfüllt, doch gerade die leiseren Töne und farbigen Nuancen, welche die Sinne des Lesers anregen, während dieser mit auf die Suche nach der verschwundenen Ana geht, machen diesen ersten Roman des jungen Autors Andreas Stichmann so lesenswert.


Als kleiner Bonus zur Erzählung über die aus dem Iran stammende Ana und ihren Freund Rupert, dem Ich-Erzähler, wird das hierzulande immer noch total verkannte Land Iran in ein völlig neues Licht gerückt. Hier ist nicht von israelfeindlichen und islamistischen Bartträgern die Rede, sondern von kurzberockten, tanzenden Mädchen, einem mystischen Derwisch und ganz normalen, freundlichen Menschen voller Sehnsüchte, wie auch ich sie im Iran kennen lernen durfte. In dieses unbekannte Land nämlich reisen Rupert und sein auf den ersten Blick etwas seltsamer Freund und Fast-Bruder Robert, der im Laufe der Handlung noch seine Qualitäten offenbaren wird. Was wiederum äußerst gefühlvoll und unglaublich ehrlich, ja fast bewundernd vom bis dahin so souveränen und überlegenen Protagonisten zur Kenntnis genommen und uns staunend mitgeteilt wird. Im Iran nämlich suchen die beiden Provinzler nach Ana, die nach einer wilden Party einfach verschwunden und angeblich bei ihrer dort im kommunistischen Untergrund lebenden Mutter untergetaucht ist. Bezeichnend für den unbedingten Modernitätswillen der Iraner ist dann die Stelle, als Abu, bei dem die Jungs in Teheran unterkommen, um jeden Preis die Mutter der Neuankömmlinge via Skype auf den großen Flachbildschirm zaubern will. Schließlich ist die Familie eines Menschen nach morgenländischer Sichtweise das Wichtigste überhaupt. Und so ist es für Abus einfach unvorstellbar, dass es in Deutschland auch nur eine einzige Frau geben könnte, die nicht mit dem seligmachenden Internet verbunden ist.

Bevor es jedoch so weit ist, rauben Rupert und Ana Tankstellen aus, quartieren sich in einem Berliner Abrisshaus ein, werden für kleine Kunst- (bzw. Porno-) Filmchen herangezogen und stellen fest, dass sie trotz all ihrer Liebe zueinander nach unterschiedlichen Glücklichmachern suchen. Während Ana mit ihrem Freund nach Teheran trampen will, reift in Rupert der Traum von einer richtigen kleinen Familie mit Wohnung, Kind und Frühstückstisch, wie er sie nie wirklich kennen gelernt hatte, heran. Deutlich wird ihm dies so richtig, als er in der Absicht auf dicke Beute mit einer Browning im Holster in eine Wohnung einsteigt und sich unvermittelt in einer kleinbürgerlichen Idylle wiederfindet, in der ihn „… dieser angenehm dumpfe Geruch, die kühle Aura nasser Wäsche im Dunkeln“ umhüllen, ebenso wie die aus der Küche dringende klassische Klaviermusik. Hier identifiziert er sich mit dem kleinen Jungen, den er beobachtet und der mitten in der Nacht aufs Klo geht. Jeder kennt wohl das hier so wunderschön poetisch beschriebene Gefühl, das man nach erfolgreichem nächtlichen Toilettengang empfindet: „…eine Vorfreude in den Knien und Beinen, ein richtiges Glück in den Gelenken, dass man sich gleich wieder hinlegen kann.“ Selbiges tut unser Held nun auch, um dem kleinen Jungen durch sein abruptes Auftauchen im Korridor nicht ebendieses Gefühl zu nehmen, und so legt er sich kurzerhand auf die verwaiste Wohnzimmercouch. Dort erwacht er erst, als am nächsten Morgen bereits alle Vögel ausgeflogen sind und er unbemerkt entkommen kann.

In einer anderen Szene, Rupert raubt gerade mit einem russischen Obdachlosen zusammen die Passagiere der U-Bahn aus, denkt er darüber nach, dass er es geradezu befürwortet, dass die „bürgerliche Kleinfamilie ignorante Menschen heranziehe“. Niemand habe ein so großes Herz, dass er alle Menschen lieben könne (mit Ausnahme des ehemaligen Stasi-Chefs Mielke natürlich) und immerhin liebten diese Familien sich wenigstens selbst. Das ist doch auch mal eine ermutigende Sichtweise auf unser egoistisches Miteinander im kapitalistischen Realismus! Rupert jedenfalls fühlt sich als nicht dazugehörig und wünscht sich sehnlichst, mit Ana endlich nicht mehr „draußen“ zu sein.

Diese reifen Betrachtungen seiner Umwelt sind es, die den jungen Mann und seine kurzweilige Geschichte so angenehm werden lassen, dass man Lust auf mehr Stichmannsche Lektüre bekommt. Sie entspricht so gar nicht dem Zeitgeist, redet dem Volke nicht nach dem Maul und beinhaltet doch immer einen wahren Kern.

Bei all diesen sentimentalen Grübeleien, an denen uns Rupert hier teilhaben lässt, sind die immer wieder eingebauten Fallen genauso faszinierend, wie die Gedanken selbst. Jeder Leser wird mehrfach in eine solche tappen, wenn er erst vom Autor auf eine romantische Fährte gelockt wird und sich dann mit dem nächsten Satz unversehens in der zugeschnappten Falle wiederfindet. Dann fühlt man sich ertappt, wie z.B. als Rupert auf dem Friedhof am kaspischen Meer sinniert: „Der sich schließende Kreis. Das Gefühl, genau an diesem Punkt stehen zu müssen, um genau hier und jetzt Frieden mit meiner Mutter zu schließen. Der große Friedhofsmoment also.
Den ich in keiner Weise empfinde.“

Irgendwann während seiner Suche wird Rupert, der Ana wirklich abgöttisch liebt und gleich den meisten Liebenden nach Erwiderung dieser starken Gefühle giert, bewusst, dass er für sie zwar ein guter Freund war, dass aber „…Ana und ich uns wahrscheinlich nie so nah waren, wie ich dachte.“ Welch schmerzliche Erkenntnis! Da hilft es dann auch nur bedingt, die Tulpen auf Anas Postkarte aus Holland als hässlich und die Windmühle als langweilig zu bezeichnen. Doch ist dies immerhin ein legitimer Versuch, nicht ständig an den Verlust seiner großen Liebe zu denken: „Es reicht, wenn ich nachts darüber nachdenke, nicht auch noch am Tag.“

Donnerstag, 10. Januar 2013

Die Schuld des Tages an die Nacht – Yasmina Khadra


 Es ist mit Sicherheit nicht die alleinige Schuld des Romans oder seines Autors, dass sich die Lektüre über so viele Wochen hinzog. Jedoch: Da das Buch nicht wirklich fesselt und mitreißt, hielt sich die Versuchung in Grenzen, jede freie Minute mit der Fortsetzung der Geschichte zu verbringen. Bei anderen Schriften ging es dem Rezensenten teilweise ganz anders, was jedoch nicht bedeutet, dass „Die Schuld des Tages an die Nacht“ etwa langatmig oder langweilig wäre. Nein, der Stoff ist ein durchaus spannender: Im Algerien der 30er bis 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geschahen groteske Dinge: Mit dem Land selbst, das seine Freiheit zu erlangen suchte, mit dessen geteilter Bevölkerung, die sich ganz schlicht in reiche Europäer und unterdrückte Araber einteilen ließ und natürlich mit den vielen einzelnen Menschen, die diese zwei Gruppen bildeten.


Younes ist einer der wenigen, der sich nicht so recht einem der beiden verfeindeten Lager zurechnen lässt. Von Geburt her Moslem und somit „Abschaum“ im eigenen Land, wird er von Onkel und katholischer Tante als Jonas großgezogen, darf zur Schule gehen und erhält eine Ausbildung zum Apotheker. Seine Freunde gehören alle der reichen, weißen Oberschicht an, und er fühlt sich in ihrer Mitte sichtlich wohl. Wenn auch in Jonas’ Herzen ein unbestimmtes Gefühl wohnt, welches hin und wieder durch ein wenig Mitleid den ausgebeuteten und im Dreck dahinvegetierenden Arbeitssklaven gegenüber zum Ausdruck kommt, so kann er sich im Freiheitskampf nicht wirklich auf die Seite der Seinen schlagen.

Während einer sicherlich hoch erotischen Stunde mit der reifen, wohlhabenden und sonnengebräunten Madame Cazenave wird dem 17 Jährigen Jonas nicht nur seine Unschuld genommen. Auch die Lebensfreude, die ersehnte Liebeserfüllung, pathetisch ausgedrückt: Sein ihm vom Schicksal eigentlich zugewiesener Lebensinhalt bleiben Jonas wegen dieses spannenden und leider niemals wiederholten Schäferstündchens auf Ewig versagt. So lange es Sex und Eifersucht gab, wurden (und werden) Millionen Biographien durch unüberlegte (oder unklug gehandhabte) Techtelmechtel zerstört oder doch zumindest in eine völlig neue Richtung gelenkt. Meistens weil der unbeteiligte Partner dann doch davon erfuhr. Dass in der vorliegenden Geschichte der jugendlich-schönen und hinreißenden Tochter der Madame hingegen niemals etwas von dem Rendevouz zu Ohren kommen dürfe, machte die Mama dem Jungen sehr eindringlich klar. Und so blieben Émilies Liebesmühen Jonas gegenüber erfolglos. Und die beiden unglücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Warum um Himmels Willen hat der erwachsene Jonas nicht genug Arsch in der Hose, seiner Angebeteten, deren Mann während des algerischen Bürgerkriegs ums Leben kam, nun beim ersten Wiedersehen nach vielen Jahren endlich alles zu erzählen? Wozu hatte er sie denn monatelang in jeder verdreckten Straße der vom Aufstand heimgesuchten Stadt gesucht? Was hatte er denn zu verlieren als sein trauriges, von Selbstvorwürfen, Selbstmitleid und der Suche nach Émilie bestimmtes Leben?

Am Lebensende dann, kurz nach der Beisetzung seiner großen Liebe und dem Wiedersehen aller damals geflüchteten Freunde, kann der ewig Unreife, der sich in seinem Leben nie für oder gegen etwas entscheiden konnte, zwar für sich beanspruchen, sein Versprechen eingehalten zu haben. Doch ist es manchmal nicht vielleicht doch besser, sein Ehrenwort zu brechen als sein Herz?