Sonntag, 27. November 2011

Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage

Was hatte ich mich auf die Lektüre dieses Buches gefreut, bei der man laut Klappentext ständig seine Lachtränen abwischen muss. Und da es in der Leipziger Bibliothek nicht vorhanden war, hielt ich kurz bei Lehmanns und freute mich, dass ich es dort sofort mitnehmen konnte.

Aber leider hielt auch dieses mal der Inhalt nicht wirklich, was der Titel versprach. Ich könnte ja nun zynisch werden und selbstgefällig darauf verweisen, dass selber Schuld ist, wer sich Buchtips aus dem Fernsehen holt (es kam tatsächlich vor längerer Zeit genau aus diesem Grund auf meine Liste, weil ein Herr Lippe davon ausserordentlich schwärmte), aber ich überlasse es jedem selbst festzustellen, dass Fernsehen Zeitverschwendung ist und es nun einmal einen unauflösbaren Widerspruch zwischen TV-Konsum und Literatur gibt.

Zurück zum Buch, welches nun auch wieder nicht so schlimm ist, dass ich es überhaupt nicht weiterempfehlen möchte. Im Gegenteil, ich kann mir gut vorstellen, dass einigen Lesern dieses Blogs diese kalendarisch nach Jahren geordneten Kapitel über das Leben im (West) Deutschland der Siebziger Jahre bis 2003 gut gefallen werden, weil die Verknüpfungen zwischen politischen bzw. gesellschaftlichen Ereignissen mit den Erlebnissen des Autors und seiner "Bagage" in vielen von uns alte Erinnerungen weckt. Daher sei Euch an dieser Stelle zugerufen: Kommet her, boirget das Buch von mir und nehmt es mit nach Hause! Die einzelnen Kapitel lesen sich gut, ab und an kann man in der Tat schmunzeln aber es fesselt den Leser nicht. Dafür ist es auch für den arbeitenden und am Abend ermüdeten Leser recht einfach zu handhaben, und wem Generation Golf gut gefiel, der wird auch hier seinen Spass haben.

Fast Jedes Kapitel beginnt mit einem: "Am Tag als... " Das liest sich dann beispielsweise folgendermaßen: "Am Tag, als Ayatollah Kohmeini persischen Boden betrat hatte ich meinen ersten Samenerguss." (weiß jemand von der männlichen Leserschaft tatsächlich noch den genauen Tag oder wenigstens das Jahr an dem mit diesem Ereignis das Unheil in Gestalt des Sexualtriebes über ihn hereinbrach?) oder "Am Tag als Janis Joplin starb unterschrieb mein Vater den Kaufvertrag für unser Reihenhaus". Abweichungen hat der Lektor auch zugelassen, weshalb uns beispielsweise auch folgender gewollt philosophisch anmutende Kapitelbeginn amüsieren oder zum Nachdenken anregen soll: "In dem Moment, da ein Mensch seiner Jugend Lebewohl sagt, hört er auf, sich für die spannenden Dinge in der Welt zu interessieren." Blödsinn! Vielleicht beweist mir dieser Satz aber auch, dass ich immer noch genauso jung bin, wie ich mich fühle.

Leider kann ich auch die wirklich schön formulierte Abhandlung zum Thema Küssen nur teilweise gelten lassen, was jedoch kein Manko des Buches sondern möglicherweise eines meiner Jugend ist: "Nie wieder habe ich solch erfrischende Küsse geschmeckt. Sie waren ein einziges Gute-Laune-Versprechen. Und sie versprühten Frühlingsgefühle, die noch frei von jener Hitze waren, die mit den Hormonen kommt...Später, in der Pubertät, verliert der Kuss seine Unschuld...Er ist der Türöffner zu größeren Vergnügungen. Also denken wir beim Küssen ans Fummeln, beim Fummeln ans Vögeln und beim Vögeln daran, wen wir sonst noch alles Vögeln könnten" Ja, hier ist schön in Worte gekleidet, was im Hintergrund abläuft, wenn sich Lippen und Zungen begegnen.

Überhaupt ist es, aber das lässt ja bereits der Titel erahnen, ein ziemlich sexlastiges (jedoch kein erotisches!) Buch, was ja nicht unbedingt negativ zu werten ist. Wenn man jedoch lesen muss, dass sich die Mutter des Ich-Erzählers nicht daran erinnern kann, wann sie das letzte mal ehelichen Verkehr gehabt hatte, fragt man sich schon, welche intime Freundschaft ihn mit seiner Mutter verband, dass er solche Details aus ihrem Leben kennt und beschreibt. Auch viele andere 'pikante' Dinge über Schwester, Onkel, Cousine und Co., über die er sich ausgiebig hermacht, können nur erfunden sein, weil er sie niemals von den betreffenden Personen erfahren hätte, was an sich nicht schlimm ist, jedoch einen schlechten von einem gute Roman unterscheidet, bei dem man dem Autor so ziemlich die ganze Geschichte als wahr abkaufen würde.

Dort wo ich herkomme, waren die Geschlechterrollen in den Siebzigern noch klar verteilt. Anders im  Westdeutschland des Schriftstellers. Dort erging es anscheinend den Menschen schon damals so wie heute vielen von uns: " Die Frauen wussten nicht mehr, was sie wollen sollten und die Männer nicht mehr, was sie wollen durften."

Doch warum soll, nur weil wir keine Studenten mehr sind, für uns nicht mehr gelten, was der Erzähler beschreibt, wenn er von seinem Zusammenleben mit Sonja berichtet? Ich denke, genau so kann es Menschen jeden Alters, zumindest zeitweise ergehen, wenn sich nur die richtige Paarung findet: "Sie küsst mich in eine andere Welt. In dieser Welt gibt es keine Erinnerungen an ein früheres Leben oder an ein zukünftiges. Die Frage, ob wir jetzt gleich oder erst in zwei Stunden miteinander schlafen, ist wichtiger als die, womit wir in 5 Jahren unseren Unterhalt bestreiten."

Viele gesellschaftliche und private Ereignisse sind schon mit einer guten Mischung aus Humor und Nachdenklichkeit treffend beschrieben, was der Grund dafür ist, dass dieses Buch mit Sicherheit seine Leserschaft finden wird. Aber warum müssen auf diesen reichlich 200 Seiten, die man recht schnell hinter sich bringt, drei Personen aus dem nächsten Verwandtenkreis sterben, die das Buch gut und gerne überleben hätten dürfen, ohne dass es dadurch weniger witzig geworden wäre? Vielleicht sollte ganz einfach ein bisschen Tragik dem Buch eine ernsthaftere Note verleihen? Sei's drum, die freiwillig ins Wasser gegangene Cousine, die während eines lustigen Familienstreites einem Herzversagen erlegene und der an einer Überdosis Viagra und der damit verbundenen Blutarmut im Gehirn verreckte Onkel sind sowieso genauso erfunden wie Rumpelstilzchen und so macht es keinen Unterschied, ob sie noch unter uns weilen oder nicht.

Wichtiger erscheint mir da doch die alles auf den Punkt bringende These:

Coito, ergo sum. Ich Bumse, also bin ich.

Sonntag, 20. November 2011

Mister Pip

Ein kleiner Roman über ein junges Mädchen auf einer entlegenen Pazifikinsel, die dort Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts in einer derart altertümlichen und einsamen Gesellschaft lebt, von der wir alle gar nicht dachten, dass es diese überhaupt noch gibt. Für uns scheinen in dem kleinen Dorf paradiesische Zustände zu herrschen: Jeden Tag Sonne, Strand und Meer, Wasserfälle, ausreichend Süßwasserbäche, Früchte und Fisch so viel man zum Leben braucht. Auch für die schwarze Bevölkerung gibt es an der Eintönigkeit ihres Lebens, dass ihnen so viel wertvoller und sinnreicher vorkommt, als das der Weißen, nicht viel auszusetzen. Zumindest war das so, bevor die Rebellen anfingen, gegen die schlimmen Zustände in der Kupfermine aufzubegehren, bevor die Rothäute (eine Armee einer benachbarten Insel) kamen, um Dörfer abzubrennen, Menschen zu morden und die Insel komplett zu blockieren.

Der einzige verbliebene Weisse (Missionare, Lehrer, Krankenschwestern gibt es längst nicht mehr), ein skuriler Typ, der manchmal mit einer roten Clownsnase im Gesicht einen Wagen durch's Dorf zieht, auf dem seine einheimische Frau thront, woran schon längst niemand mehr Anstoß nimmt, macht es sich zur Aufgabe, den Kindern des Dorfes in dieser Situation durch Schulunterricht die Eintönigkeit ein wenig zu lindern und ihnen dabei seine Lebenserfahrungen nahezubringen. Dies tut er nicht in Form des klassischen Schulunterrichts sondern auf zweierlei Art: Er bittet die Mütter, Tanten und Großmütter der Kinder in das Schulhaus, damit diese den Kindern ihre wichtigsten Lebensweisheiten mitteilen. So erfahren diese vom Leben und Werden des Herzsamens (ein gutes Mittel gegen die Moskitos), dass man einen Tintenfisch tötet, indem man über den Augen in ihn hineinbeißt, wie die Krabben am Strand das Wetter vorhersagen, von den unterschiedlichsten Winden, die es auf der Insel gibt (der Lieblingswind der darüber berichtenden Frau heißt "Frauensanft"), dass der Glaube wie Sauerstoff sei und dass der Farbe Blau Zauberkräfte innewohnen (schließlich verwandle sie sich beim Auftreffen auf ein Riff in die Farbe Weiss). Aber ergänzend zu diesen, auf traditionelle Weise weitergegebenen und für das Überleben auf solch einem Flecken Erde sicherlich nützlichen Dingen, bestand der Unterricht darin, dass der Lehrer Mr. Watts den Kindern aus Charles Dickens' Roman "Große Erwartungen" vorlas. Und sie damit in eine Welt entführte, von der sie bisher überhaupt nichts ahnten. Hier konnten sie Zuflucht in einem anderen Land suchen und so ihren Verstand retten. Alle Kinder hingen Mr. Watts an den Lippen aber insbesondere Mathilda war so begeistert vom Leben des Pip, der Ende des 19. Jahrhunderts in England vom Waisenjungen, der all seine Liebe der kalten Estrella vor die Füße legte, zu einem Leben in Reichtum und Laster verführt wurde. Pip wurde Mathildas bester Freund, sie identifizierte sich so stark mit ihm, dass sie seinen Namen mit Herzmuscheln im Sand abbildete und in Gedanken nur noch bei ihm war. Was einerseits ihrer Mutter, einer sehr gläubigen Frau, auf- und missfiel und andererseits den Rothäuten, die auf der Suche nach Rebellen mit Hubschraubern ins Dorf kamen und Mathildas "Schrein" im Sand erblickten. Sie wollten diesen Mr. Pip unbedingt finden, konnten jedoch nur dessen Schöpfer, Mr. Dickens, in Wirklichkeit der weiße Lehrer, auftreiben. Ein Mißverständnis, dem anfangs alle Habseligkeiten der Dorfbewohner, später deren Häuser und zuletzt auch das Leben eines Jungen, des Lehrers und Mathildas Mutter zum Opfer fielen. Müßig darüber nachzudenken, dass letztendlich Mathildas Mutter selber, die sich mit Mr. Watts wegen dessen atheistischer Einstellung überworfen hatte, Schuld an dieser ganzen Misere war, da sie den einzigen Beweis dafür, dass Mr. Pip nur eine Romanfigur, jedoch keiner der Rebellen war, im Form des Buches aus der Schule gestohlen hatte.

In den wenigen Wochen aber, in denen die Kinder in die Welt des Mr. Pip eintauchten, lernten sie für's Leben. Wie dieser so hatte auch Mr. Watts eine gänzlich andere Welt hinter sich gelassen. Zwei (Häuser, Menschen, Länder, ...) sind nie dieselben. Man gewinnt beim Verlieren und umgekehrt. 

Die Kinder erlebten zum ersten mal (und viele von ihnen sicherlich zum einzigen mal), was Literatur für unser Leben bedeuten kann, dass es Zauberei gleich kommt, wenn ein kleines schwarzes Mädchen in die Haut eines anderen schlüpfen kann, sogar wenn diese weiß ist und einem Jungen gehört.

Auch für uns, die wir mit der Lust am Lesen und der Befriedigung, die sich unserer durch das Erleben von und das Eintauchen in die Literatur bemächtigt, vertraut sind, hält dieses kleine große Buch einige wichtige Wahrheiten bereit:
Man glaubt gar nicht, wie wichtig und notwendig eine Haarbürste und eine Zahnbürste sind. Man merkt nicht, was ein Teller oder eine Schale Wert sind, bis man keine mehr hat. Andererseits war uns neu, was man mit einer einzigen Kokusnuss alles machen kann.

Und auch folgende Erfahrung, die die Dorfbewohner machten, als die lange erwarteten Rothäute dann "endlich" wieder auftauchten, um mit ihren Machten den Lehrer zu zerstückeln, kommt uns, allerdings in anderen Zusammenhängen, sehr bekannt vor und gilt für fast alle Lebensbereiche:
Es gibt Tage, an denen die Feuchtigkeit steigt und steigt und immer schwerer wird, bis sie schließlich niederbricht. Dann regnet es, und man kann wieder atmen.

Mittwoch, 2. November 2011

Und Nietzsche weinte

Was für ein Buch! Wahrlich keine leichte Kost aber lohnenswert und sehr bereichernd, was uns Nietzsche, Freud und der Wiener Arzt Dr. Breuer hier zu sagen haben. Auch wenn es sich hierbei um einen Roman und keine Autobiografie handelt, und die langen Dialoge, die man oft mehrfach lesen muss, um sie wirklich zu verinnerlichen, sicherlich nicht genau so stattgefunden haben, so ist es doch gut vorstellbar, dass diese Gespräche zwischen den Beteiligten so oder ähnlich geführt worden sind. Die eigentliche Handlung ist schnell erzählt: Die betörende Russin Lou Salome (wie alle anderen Protagonisten eine historisch belegte grossartige Persönlichkeit) überzeugt Kraft Ihrer einnehmenden, unkonventionellen und fordernden Art den Wiener Arzt Dr. Breuer, dass dieser ihren Freund Friedrich Nietzsche in Wien behandeln möge. Nietzsche leidet seit Jahren unter heftigsten, sehr lang anhaltenden Migräne-Attacken, die weniger starke Menschen längst umgebracht hätten. Keiner der vielen von ihm aufgesuchten Ärzte konnte ihm bisher helfen und nun soll es Dr. Breuer richten. Dieser fühlt sich von der Russin geschmeichelt und überredet Nietzsche mit unglaublicher Geduld und Überzeugunskunst zu einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt, in dem er vorgibt, er brauche Nietzsches Rat und Hilfe bezüglich ungenlöster persönlicher Probleme. Nur weil Breuer sehr erfolgreich einen neuerlichen Migräneanfall Nietzsches viel schneller und erfolgreicher zu lindern in der Lage ist, als es alle anderen Ärzte und deren Medizin bisher vermocht hatten, stimmt dieser schliesslich zu und macht sich mit grossem Eifer an die "Behandlung" von Breuer. Dieser hat endlich einen Menschen gefunden, dem er ausführlich von seiner Obsession für die ehemalige Patientin Bertha (die im Übrigen den gleichen Namen wie Breuers früh verstorbene Mutter hat, wie Nietzsche zu gegeben Zeitpunkt feststellt) berichten, ja beichten kann. Schnell stellen beide Männer fest, dass sie die gleichen Fragen nach dem Sinn des Lebens in sich tragen, von einem ähnlich starken Freiheitsdrang beseelt sind und sich den geltenden Konventionen nur ungern beugen, wobei auch klar wird, dass Nietzsche hier weitaus weniger bereit ist, Kompromisse einzugehen, als Breuer (in dem auch ich mich in gewisser Weise Wieder finden kann). Die Grundidee des Arztes, während der "Redekur" genannten Gespräche oder Sitzungen langsam die Zunge des Philosophen zu lockern und so den Gründen seiner schweren Krankheit auf den Leib zu rücken, wird von dessen extremer Verschlossenheit konterkariert, da Nietzsche fortan den Arzt als Patienten sieht und dementsprechend behandelt. Doch mit jeder Sitzung, die allesamt philosophischen Diskussionen entsprechen, verstärkt sich die Freundschaft zwischen den Beiden, und so gelingt es Nietzsche, den Kern der Breuerschen Probleme offen zu legen und damit den Anstoss zu dessen Selbstheilung zu geben, welche in einer Trance-ähnlichen Erfahrung während einer Hypnose durch Siegmund Freud geschieht. Kaum hat Breuer erkannt, dass sein Problem weder die Ehe mit seiner schönen Frau Matthilde und der damit verbundenen Pflichten, die in ihm ein Gefühl der Unfreiheit hervorrufen, noch die Besessenheit zu Bertha zu Grunde liegen bzw. dass diese nur die Symptome weiter zurück liegender, nicht aufgearbeiteter Probleme darstellen, schafft es Breuer, dem begeisterten Nietzsche, den ähnliche Probleme quälen, endlich die Zunge zu lockern. Weinend berichtet dieser nun endlich, wie auch ihn die Russin Lou in ihren Bann zog. Als er dann von Breuer erfährt, dass Lou diesen mit den gleichen Gesten und Berührungen zu verführen verstanden hat (allerdings nicht im sprichwörtlichen Sinne), geht es ihm wie Breuer, der seine Bertha während der Hypnose in den Händen eines anderen Arztes gesehen hatte: Beiden Männern wurde bewusst, dass sie für die jeweilige Frau längst nicht das bedeutet hatten, wessen sie sich lange Zeit so sicher gewesen, dass sie für diese auswechselbar statt unvergleichlich waren. Was für ein nachvollziehbarer, welche heilvoller Schock!

Und hier jetzt einige Textbeispiele, die allesamt von der großen Intelligenz und der Suche nach DER Wahrheit künden:

Sterben ist schwer. Ich habe stets empfunden, dass das Vorrecht der Toten ist, nicht mehr sterben zu müssen.

Er (Nietzsche) behauptet, um die Wahrheit zu finden, müsse man zuerst sich selbst ganz kennen. Und dazu müsse man seinen gewohnten Sehwinkel verlassen, sein Jahrhundert, sein Heimatland - um sich selbst dann aus der Ferne zu studieren.

Niemand tut etwas ausschliesslich für andere. Alles tun ist auf sich selbst gerichtet, aller Dienst dient dem Selbst, alle Liebe ist Selbstliebe....

Nietzsche sagt zu Breuer: Was Sie lieben ist die angenehme Empfindung, die eine solche Liebe in Ihnen selbst weckt! Man liebt zuletzt seine Begierde, nicht das Begehrte!

Zitat Nietzsche: Er (Breuer) möchte meinen Weg entdecken und ihn selber gehen. Noch versteht er nicht, dass es meinen und deinen Weg gibt, nicht aber DEN Weg....Er will nur das JA, das Zustimmende der Wahl, nichts vom Nein, vom Verzicht. Er ist ein Selbstbetrüger. Er trifft Entscheidungen, will jedoch nicht derjenige gewesen sein, der entschied. Er weiss, dass er unglücklich ist, doch er will nicht sehen, dass er ob des Falschen unglücklich ist.

Breuer sagt: Das Leben ist eine Prüfung ohne richtige Antworten. Hätte ich mein Leben noch einmal zu leben, ich fürchte, ich würde alles genauso machen, die nämlichen Fehler machen. Stellen Sie sich einen Mann mittleren Alters vor, der von einem Flaschengeiste aufgesucht wird, welcher ihm in Aussicht stellt, sein Leben noch einmal leben zu dürfen...Er stellt fest, dass er das gleiche Leben lebt, die gleichen Entscheidungen trifft, die gleichen Fehler begeht, den gleichen Zielen und Göttern huldigt…Ziele entspringen der Kultur, der Atmosphäre, mit der Luft atmet man sie ein. Alle Knaben mit denen ich aufwuchs, hatten die gleichen Ziele... Der einzelne wählt seine Lebensziele nicht bewusst, sie sind Wechselfälle und Umstände der Zeit. Darauf Nietzsche: Einst riet ein weiser jüdischer Lehrmeister seinen Jüngern, wenn sie frei werden wollten, müsse ihnen die Stunde kommen, wo sie vor ihren Liebsten flöhen.

Ein sicheres Leben ist gefährlich. Ich laufe Gefahr, mein wahres Selbst zu verlieren, nicht der zu werden, der ich bin. Doch wer bin ich?

Dostojewski sagt, es gibt Dinge, die gesteht man nur Freunden; andere nicht einmal diesen, und dann gebe es noch Dinge, die man nicht einmal sich selbst gestehe!

Nietzsche: Stirb zur rechten Zeit! Wer zur rechten Zeit stirbt, wer vollbringend lebt, für den verliert der Tod seinen Schrecken. Wer nie zur rechten Zeit lebt, wird nie zur rechten Zeit sterben können. Daraufhin Breuer: Nein, ich habe nicht gewollt! Nein, ich habe das Leben nicht gelebt, das ich hätte leben wollen! Ich habe das Leben gelebt, das mir bestimmt wurde. Ich - mein wahres Ich - bin in meinem Leben eingeschlossen.

Und hier die wohl wichtigste Aussage des Buches, die aufzeigt, dass Nietzsche nicht nur eine wirklich fatalistische Weltanschauung vertritt, die u.U. in Depressionen führt, sondern eine, die in gewisser Weise allen Menschen einen Ausweg aufzeigen kann. Natürlich muß man auch weiterhin immer wieder das eigene Schicksal selbst in die Hand nehmen, soweit es eben möglich ist, gewisse Dinge jedoch als gegeben hinnehmen. Diese Grenze zu finden, das ist das Schwierige, die größte Herausforderung:

Amor fati: Liebe dein Schicksal. Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben liegt darin, das Unumgängliche zu wollen und dann das gewollte zu lieben. Die Verzweiflung überwinden, in dem man das "so war es" zum "so wollte ich es" macht.